125-Jahre RhB: Festansprache Stefan Engler

Auf der Jubiläumsfeier am 6. Juni 2014 sprach der Präsident des RhB-Verwaltungsrates Stefan Engler zu den zahlreichen Gästen. In seiner Festansprache stellt er die Bedeutung der „Bahn als Schrittmacherin des Fortschritts“ heraus.

Der Spur-G-Blog dokummentiert die Rede von Stefan Engler im Wortlaut:

Gute Ideen erscheinen im Nachhinein immer wie selbstverständlich. Die Idee einer Bündner Gebirgsbahn erscheint heute noch wundervoll. Weil die Rhätische Bahn die Schönheit der Landschaft, die Kraft der Technik und das Verbindende von Gedanken miteinander vereint.

Wenn es je Pioniere in Graubünden gab, dann waren es jene Planer, Ingenieure und Bauleute, die um die Jahrhundertwende ganz Graubünden mit einem Schienennetz überzogen und allen Berechnungen, Risiken und Gefahren zum Trotz an der Vision neuster Verkehrswege auch unter schwierigsten topographischen Bedingungen festhielten.

So wurde der Bahnbau in Graubünden auch der eigentliche Antrieb für den technischen Fortschritt. Nicht anders als heute galt es, die Zauderer davon zu überzeugen, dass Wandel immer auch Aufbruch und Chance bedeutet. Und orientiert er sich am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen und ist er in der Lage, diesen Nutzen nachhaltig zu bringen, so gibt es wenig Argumente auf der Seite derjenigen, die sich gegen den Wandel stemmen. Die Schreiber haben sich gegen Gutenberg aufgelehnt, die Drucker gegen die Informatik – vergebens! Und so wich auch die Postkutsche dem Dampfross. Immer wieder wehrten sich Menschen gegen Neuerungen und immer wieder waren die Traditionalisten die Verlierer. Neue Technologien bringen neue Chancen, erleichtern dem Menschen das Leben, erweitern seine sozialen Freiräume.

Vergessen wir indes nicht, der Bahnbau hat auch seine sozialgeschichtliche Seite. Bahnfrühzeit: das waren nicht nur schöne Tage in alpiner Landschaft, blumengeschmückte Bahnhofchalets, lachende Mineure auf Fotos bei der Barbarafeier oder aus Anlass eines Durchstichs oder der Jungfernfahrt. Sie war mindestens so sehr geprägt und begleitet von Krankheit und Todesgefahr sowie Heimweh nach Familie und Zuhause, von Arbeits-bedingungen, nach denen kein vernünftiger Mensch sich nostalgisch zurücksehnen möchte. Man kann aber die Schwere der Arbeit –so der Publizist Iso Camartin– die Risiken und Gefahren dieser Pioniere nicht aus dem Kopf schlagen, wenn man sich dem nostalgischen Gefühl dieser „gute alten Zeit“ hingibt.
Unsere Wünsche, Träume und Visionen erfüllen sich nicht wie im Märchen. Sie sind alle hart der Wirklichkeit abgerungen. Mit kühner Entschlusskraft, mit ausdauernder Arbeit und mit der festen Zuversicht an die Verbesserbarkeit des Lebens. Und Niederlagen, eine solche stand am Anfang der bündnerischen Bahnvisionen, machen bekanntlich erfinderisch. Und hätte es eines Beweises dafür noch gebraucht. Die Bahnpioniere der Rhätischen Bahn haben ihn erbracht: es gibt nie nur eine Möglichkeit.

Zu behaupten, der verkehrstechnische Fortschritt hätte Graubünden nicht auch negative Nebenerscheinungen gezeigt, wäre kurzsichtig. Die rätoromanischen Sprachgebiete etwa gerieten durch die beschleunigte Bahn-Mobilität arg unter Druck. Zuerst lautete die Devise: Die Bahn ist der Fortschritt, und alles was mit der Bahn verbunden ist, hat auch in der Sprache des Fortschritts zu geschehen. Als solche galt in Graubünden nur die deutsche Sprache. Die heute nach aussen sichtbar dreisprachige Rhätische Bahn ist ein Phänomen der allerjüngsten Zeit.

Vor 125 Jahren, am 9. Oktober 1889, verkehrte der erste planmässige Dampfzug der Landquart-Davos-Bahn zwischen Landquart und Klosters – damit wurde der Grundstein gelegt für das heute knapp vierhundert Kilometer lange Meterspurnetz der Rhätischen Bahn.

Die grossen europäischen Eisenbahnlinien waren in der Regel in einer „normalen“ Spurbreite von 1435 mm angelegt worden, die Kurvenradien unterschritten nur selten 190 m und die Steigung betrug im Maximum 25 Promille, ausgenommen die Gotthardbahn, die bis zu 27 Promille ansteigt. Es waren vor allem die gebirgige Landschaft und wesentliche Kosten-ersparnisse, welche die Eisenbahnpioniere der Rhätischen Bahn veranlassten, „schmal“ zu bauen. Was folgte war ein Meisterstück an Leistungsfähigkeit auch angesichts der grossen technischen, topographischen, klimatischen, aber auch politischen und finanziellen Schwierigkeiten. In nur 26 Jahren wurden weite Teile von Graubünden, Strecke für Strecke, mit der Eisenbahn erschlossen.

Heute dürfen sich Einheimische wie Gäste an den Leistungen einer erfolgreichen alpinen Erlebnisbahn erfreuen. Über 1‘400 zuverlässige und meist begeisterte Mitarbeitende sorgen dafür, dass mit eleganten Personenzügen, bärenstarken Güterzügen, historischen Kompositionen aus den Anfängen und vollbepackten Autozügen aktuell (im Jahre 2012) jährlich über 10 Millionen Fahrgäste, 600‘000 Tonnen Güter und 470‘000 Motorfahrzeuge umweltschonend und energiesparend befördert werden.

Wir haben guten Grund, uns über das Erreichte zu freuen. Wir sollten dabei wachsam bleiben, das, was die Zukunft uns an Herausforderungen bereithält, nicht zu verdrängen, nichts zu überstürzen und trotzdem nicht den Zug zu verpassen. „Ein Zug ist angekommen, wenn er anhält. Der Zug fährt aber weiter, auch wenn er angekommen ist“, schreibt Abt Martin Werlen, in seinem Büchlein „Bahngleichnis“. Es bleibt uns heute also Zeit zu feiern, schon morgen fährt der Zug aber weiter.

Quelle: Rhätische Bahn

Link-Tipp: www.rhb.ch

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